6. Wie subversiv ist die Kommunikationsguerilla?

Weiter muss man sich fragen, ob die Kommunikationsguerilla mit ihren jetzigen ästhetischen Formen des Widerstandes wirklich erfolgreich ist. Hier soll noch einmal auf die von Eco beschriebene Kommunikationskette der Massenmedien zurückgegriffen werden, da diese die Agitationsform der Kommunikationsguerilla erklären kann. Durch die einseitige Ausrichtung des Kommunikationsflusses in eine Richtung, nämlich die vom Sender zum Empfänger, ist bereits die Struktur, also eine Reaktion des Empfängers auf die empfangene Botschaft vorprogrammiert. Gleichzeitig wird hiermit eine eigenständige Aktion des Empfängers verhindert.

Jean Baudrillard kritisiert in seinem Essay „Requiem für die Medien“ Ecos Forderung nach einer semiologischen Guerilla, da eben diese die eigentlichen Machtverhältnisse nicht angreife, sondern sie noch bestätige. Die Medien selbst seien eben dadurch ein System der Kontrolle und der Macht, dass sie keine Antwort, keine wirkliche Kommunikation zuließen.[42] Es stellt sich also die Frage, ob die Bezeichnung Kommunikationsguerilla eigentlich unzulässig ist, da sie die einseitige Kommunikationskette der Medien nicht in ihrem Kern angreift, sondern lediglich auf sie reagiert? Laut Baudrillard haben es die Medien bis heute geschafft über inhaltliche Umwälzungen ihre Form und somit ihre Kontrollfunktion zu wahren. Als Beispiel dafür könnte man die Vereinnahmung subversiver Strategien durch die Werbebrache sehen. Hier ist es gelungen, das Medium Plakat effktiv weiterzuentwickeln, indem subversive Gestaltungsweisen integriert werden um sie im Interesse der Werbung einzusetzen.

Michel Serres hat dieses Prinzip Anhand des Bildes eines Parasiten und seines Wirts beschrieben. Der Künstler als Parasit greife das System und somit seine Struktur an und fordere es so heraus, auf diesen Angriff zu reagieren. Dadurch entwickle das System überhaupt erst die Fähigkeit auf solche Angriffe zu reagieren, es würde immun. Dies gelänge durch die Strategie der Integration, denn durch sie würde früher oder später jeder subversive Angriff harmlos, jede Avantgarde irgendwann Mainstream. Somit würde der Künstler oder der Kommunikationsguerillero zum erhaltenden Moment für das System.[43]

Als Beleg für diese Theorie von Michel Serres könnte herangezogen werden, dass die Weiterentwicklung der Werbung durch die subversiven Strategien, der Werbebrache ohne Frage zu einem neuen Aufschwung und höherer Popularität verholfen hat. Nach den Vorstellungen von Serres und Baudrillard ist die Arbeit der Kommunikationsguerilla somit von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht das System als solches zu verändern versucht.

Der Grund für die Unvereinbarkeit der Positionen von Serres und Baudrillard mit der der Kommunikationsguerilla ist in den unterschiedlichen Gesellschaftskonzeptionen zu suchen, die ihnen zugrunde liegen. Die Wissenschaftler hängen der Vorstellung an, die gesellschaftliche Entwicklung werde von einer oder mehreren Gruppen gesteuert, denen gegenüber man sich als Individuum entweder positiv oder negativ positionieren kann. Die Kommunikationsguerilla hingegen vertritt ein individualistisches Gesellschaftskonzept, das „nicht von einer politischen Avantgarde ausgeht, welche die Massen anleitet und führt, sondern davon, dass gesellschaftliche Veränderungen aus dem Handeln aller Individuen entsteht.“[44] Somit ist auch jedes Individuum dazu berechtigt in bestimmte Prozesse einzugreifen, ohne gleichzeitig den Anspruch erheben zu müssen, als neue politische Avantgarde einen neuen Gesellschaftsentwurf vertreten zu wollen. Dadurch ist die Kommunikationsguerilla leicht angreifbar für den Vorwurf, sie würde mit ihren Aktionen nichts bewegen.

Die Offenheit der Aktionen der heutigen Kommunikationsguerilla widerspricht den dogmatischen Zielen der beiden Wissenschaftler. Meiner Ansicht nach ist es jedoch genau diese Offenheit und Prozessorientiertheit, die die Kommunikationsguerilla auszeichnet. Sie lassen sich keinem politischen Lager zuordnen, den rechten genauso wenig wie den Linken. Sie glauben an keine Ideologie, sondern lassen sich lediglich leiten von ihrem persönlichen Wunsch nach Freiheit. Sie sind nicht zu vereinnahmen und haben Spaß an dem, was sie tun. Auf die Frage, “Do you think what you are doing is making a difference?”, antworten die Yes Men: „We guesstimate that it is, somehow, somewhere. At least it’s better than sitting on our asses waiting for the world to change on its own.”[45]